Gute Fragen, schlechte Fragen...

Beginnen wir mit den Fragen, die man (zumindest als Diskussionsleiter in einem Betriebsratsgremium) strikt vermeiden sollte. Die folgende Liste sollte möglichst ausgedruckt und dann in Ruhe durchgearbeitet werden...

Fragetypen, die mit Vorsicht zu genießen sind...

Die banale Frage:
"Haben wir denn überhaupt Informationsrechte?"  
Eine solche Frage, die eine allen bekannte Selbstverständlichkeit zum Inhalt hat, ist eigentlich eine Zumutung für die Diskussionsrunde.
Was – bitte sehr – soll man darauf schon antworten? "Ja" oder "Selbstverständlich"? Damit wäre dann ja auch schon Schluss. Der Diskussionsleiter wird wohl kaum erwarten, dass jetzt jemand ein umfassendes Referat über alle Informationsrechte des Betriebsrats hält. Das aber wäre die einzige Alternative zum schlichten "Ja".
Solche Fragen werden in aller Regel aus Verlegenheit gestellt, weil man nicht weiß, was man sonst sagen oder fragen soll. Sie fördern die Diskussion nicht, sondern lösen in der Praxis nur verlegenes Schweigen aus.

Die gezielte Frage:

"Was sagt denn der § 102 Abs. 3 BetrVG über die möglichen Widerspruchsgründe aus?"
So eine gezielte Frage wird gestellt, wenn der Fragende die Antwort schon kennt, und sie lässt nur Antworten zu, die entweder "richtig" oder "falsch" sind, da hier nach einem feststehenden Sachverhalt gefragt wird.
Es ist (wie die banale Frage übrigens auch) ein Fragentyp, den Lehrer gerne verwenden. Eine gezielte Frage bringt den Gefragten deshalb in eine schulähnliche Situation. Er muss ›Wissen‹ nachweisen oder ›Unwissen‹ zugeben.
In der Praxis dürfte diese gezielte Frage dazu führen, dass die Diskussionsteilnehmer beginnen, im Text des Betriebsverfassungsgesetzes nachzulesen.
Das ist in dieser Situation albern, und der Diskussionsleiter versetzt sich selber in die Rolle eines "Lehrers", was er ja wohl in jedem Fall vermeiden sollte.

Die Frage mit fest eingeplanter Antwort:

"Das ist zwar alles richtig, aber ich wollte auf etwas anderes hinaus. Nochmal: Finden wir im Betriebsverfassungsgesetz einen Ansatzpunkt, uns gegen das ERP-System zu wehren?"
Eine an sich durchaus sinnvolle Frage, die nur deshalb negativ wirkt, weil der Fragende sie für sich schon lange beantwortet hat. Und genau diese Antwort und nichts anderes will er jetzt auch hören. Deshalb fragt er so lange, bis das ›Richtige‹ kommt.
Das erzeugt mehr noch als die gezielte Frage eine Art "Lehrer-Schüler-Verhältnis" zwischen Diskussionsleiter und -teilnehmern.
Die praktische Konsequenz ist, dass die Diskussionsteilnehmer, die sich diesem ›Quiz‹ unterziehen müssen, sauer und enttäuscht reagieren. Denn sie merken natürlich, dass der Diskussionsleiter die (seiner Meinung nach) ›richtige‹ Antwort längst parat hat und mit ihnen nur sein Spielchen treibt.

Die Suggestivfrage:

"Diese exaktere Planung des Produktionsablaufs bedeutet mittelfristig Arbeitsplatzverlust. Müssen wir nicht deshalb ganz grundsätzlich dagegen sein?"
Dieser Fragentyp legt dem Gefragten die Antwort schon in den Mund. Er kann dazu eigentlich keine andere Auffassung mehr vertreten, ohne dass ihm (in diesem Fall) unterstellt wird, er wäre für den Verlust von Arbeitsplätzen.
Eine Suggestivfrage ist also eigentlich eine Meinungsäußerung, die zur Wahrung des Scheins als Frage formuliert wurde. Dabei ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn der Diskussionsleiter seine Meinung einbringt und vertritt (im Gegenteil!).
Aber er sollte dies direkt tun und sich nicht hinter einer solchen Frage verstecken, denn eine Suggestivfrage hat immer zum Ziel, bestimmte Diskussionspunkte auszuschließen.
Das Gegenteil aber ist Aufgabe des Diskussionsleiters – er soll die Diskussion aller möglichen Alternativen und Meinungen offenhalten.

Die rhetorische Frage:

"Brauchen wir denn noch mehr Argumente, um zu erkennen, dass uns hier nur eine Alternative bleibt?"
Der Fragende erwartet auf eine solche Frage gar keine Antwort, er wird sie im nächsten Satz (noch einmal) selber geben. Ähnlich wie bei der Suggestivfrage handelt es sich hier um eine Behauptung oder Meinungsäußerung in der Form einer Frage.
Rhetorische und Suggestivfragen werden mit dem Ziel gestellt, jeden möglichen Widerspruch, jede anders lautende Meinungsäußerung als "völlig unzulässig" oder sogar als "eigentlich dumm" erscheinen zu lassen.
Wer es wagt, dagegen anzugehen, zeigt nur, dass er das, was der Fragende vorher erklärt hat, "nicht richtig verstanden" hat.
Wer rhetorische oder Suggestivfragen als Diskussionsleiter (oder auch -teilnehmer) benutzt, fördert damit die Diskussion nicht, sondern erschwert sie.
Rhetorische Fragen sollten nur (deshalb heißen sie ja auch so) in Reden verwendet werden - sparsam und gezielt.

Fragetypen, die besonders nützlich sind...

Die offene Frage:

"Wir sollten mal überlegen, welche Folgen diese Maßnahme für die anderen Arbeitnehmer haben wird?"
Diese Art Frage zielt nicht auf eine einzig mögliche und richtige Antwort. Sie lässt sehr viele und ganz unterschiedliche Antworten zu. Deshalb eignet sie sich auch besonders gut, um zu einem neuen Thema das Gespräch in Gang zu bringen (nach einer Einführung).
Ob diese Frage aber die gewünschte Wirkung hat, hängt nicht von der Fragestellung allein ab, sondern mehr noch von der Reaktion auf die Antworten.
Jede Antwort sollte zunächst positiv aufgenommen und als diskussionswürdig dargestellt werden. Der Diskussionsleiter wird sich also mit seiner eigenen Meinung zurückhalten und auch vorschnelle Bewertungen durch die anderen verhindern.
Wessen Antworten vielleicht mehrmals kein oder nur ein negatives Echo gefunden haben, neigt dazu, enttäuscht abzuschalten.

Die Informationsfrage:

"Du hast doch Erfahrungen mit Produktionsdatenerfassungsgeräten. Wie sehen die denn aus? Wie funktioniert so was?"
Eine solche Frage geht davon aus, dass der direkt Gefragte über ein spezielles Wissen oder über Erfahrungen verfügt, die Diskussionsleiter und die anderen Teilnehmer nicht haben oder nicht haben müssen.
Sie hat eine doppelte Aufgabe: Einmal soll natürlich das Spezialwissen des Gefragten für die allgemeine Information herangezogen werden. Sie ist aber auch ein Mittel, zurückhaltende oder uninteressiert erscheinende Diskussionsteilnehmer in die Diskussion hinein zu ziehen.
Wer die Gelegenheit bekommt, seine persönlichen Fachkenntnisse oder besondere, persönliche Erfahrungen in die Diskussion einzubringen, hat ein Erfolgserlebnis, das seine Bereitschaft, von nun an intensiver mitzuarbeiten, stark fördert.
Bei jeder Diskussion bieten sich solche Chancen, und sie sollten vom Diskussionsleiter auch genutzt werden, um den Kreis der Diskussions-Beteiligten zu vergrößern.

Die Verständnisfrage:

"Entschuldige, habe ich dich richtig verstanden, dass du meinst..."
Diese Art Frage hilft, Missverständnisse zu vermeiden. Sie signalisiert dem Gefragten das Bemühen, seine Meinung ernst zu nehmen und zu verstehen, auch wenn sie von der eigenen abweicht.
Natürlich kommt es auch hier darauf an, wie die weitere Reaktion aussieht. Wenn man die Antwort auf diese Frage benutzt, um dann zu sagen: "Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Aber jetzt sehe ich, dass das tatsächlich absoluter Schwachsinn ist, den du da erzählst!", dann dürfte die Wirkung eine ziemlich verheerende sein.
Die Verständnisfrage hat also zum Ziel, eine geäußerte Meinung ganz deutlich und unmissverständlich klarzustellen, um dann darüber ernsthaft und vernünftig diskutieren zu können.

Die provozierende Frage:

"Aber hat der Arbeitgeber denn nicht recht, wenn er sagt, dass ihm die Weiterbeschäftigung von Elisabeth Jansen bei den vielen Fehlzeiten nicht zuzumuten ist?"
Eine solche Frage wird mit dem Ziel formuliert, Widerspruch zu erzeugen. Der Fragende muss sich also sicher sein, dass die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer eine grundsätzlich andere Auffassung vertritt (sonst kann das ganz schön in die Hose gehen).
Wenn das aber so ist, kann die provozierende Frage sehr gut eine Diskussion in Schwung bringen. Bleibt der Diskussionsleiter eine Weile in dieser Rolle, in der er die Arbeitgeber- oder sonstwelche Gegenargumente vertritt, zwingt er die anderen Diskussionsteilnehmer dazu, diese Position nicht nur pauschal, sondern genau begründet zu widerlegen.
Allerdings muss der Diskussionsleiter aufpassen, dass er das nicht "von oben herab" tut, sonst kommt er auch hier in eine fatale "Lehrer"-Rolle.

Die Meinungsumfrage:

"Es ist jetzt viel dafür und dagegen gesagt worden. Ich möchte, dass alle mal reihum ihre Meinung dazu sagen."
Der Diskussionsleiter hat das Gefühl, dass die Diskussion sich im Kreise dreht. Alle Argumente und Gegenargumente sind ausgetauscht. Es haben sich aber nicht alle in der Runde an der Diskussion beteiligt, die Mehrheitsverhältnisse sind nicht klar.
In einer solchen Situatuíon kann der Diskussionsleiter alle Diskussionsteilnehmer auffordern, der Reihe nach kurz ihre persönliche Meinung zum Problem zusammenzufassen.
Dies führt dazu, dass allen nun klar ist, wie die Meinungen im Gremium verteilt sind. Und die, die sich bisher rausgehalten haben, werden gezwungen, ebenfalls Position zu beziehen.
Oft kommen jetzt auch noch neue Argumente hinzu, oder es wird der Ansatzpunkt für einen Kompromiss sichtbar, so dass mit Aussicht auf Einigung weiter diskutiert werden kann.
Auf jeden Fall ist eine solche Meinungsumfrage oft besser als eine sofortige Abstimmung: Die zustimmende oder ablehnende Haltung muss begründet werden. Ja oder nein reicht nicht aus, drücken gilt auch nicht.
Die Möglichkeit, nach einer Umfrage erneut in eine Diskussion einzusteigen, bleibt ebenso offen wie der Weg zur Abstimmung, wenn sich bei der Umfrage nichts Neues herausgestellt hat.