Der hierarchische Aufbau des Arbeitsrechts

Mit rechtlichen Vorschriften ist es wie mit einem Unternehmen: Es gibt eine Hierarchie, in der die jeweils übergeordnete „Ebene“ gegenüber der darunterliegenden das „Sagen“ hat. Das gilt auch für das Arbeitsrecht. Ganz oben steht das europäische Recht, darunter dann das nationale Recht, das wiederum hierarchisch aufgebaut ist:

1. Das europäische Recht

Wenn es zu einem bestimmten Sachgebiet ein europäisches Gesetz gibt, dann muss sich das gesamte nationale Recht jedes EU-Mitgliedstaats daran halten. Über Streitfälle entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH). Fragen, die für Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen Bedeutung haben, sind meist in Form von EU-Richtlinien geregelt. Bekannte Beispiele dafür sind die Richtlinien für Entgeltgleichheit, Betriebsübergang, Bildschirmarbeit oder Datenschutz.
Meist gelten diese Richtlinien allerdings nicht direkt und sofort, sondern verpflichten die EU-Mitgliedsstaaten, in ihren Parlamenten die Inhalte der Richtlinien als ein nationales Gesetz zu beschließen. Weicht das nationale Gesetz von der europäischen Vorgabe gravierend ab, kann es auch dazu ein Verfahren beim EuGH geben.

2. Das Grundgesetz

Im deutschen Recht steht das Grundgesetz (GG) ganz oben. Kein Gesetz, keine Verordnung, kein Tarifvertrag, keine Betriebsvereinbarung darf also gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstoßen. Das hat auch für das Arbeitsrecht Bedeutung. Nicht nur, dass das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, im Grundgesetz verankert ist (in Art. 9 GG), auch die zentralen Grundrechte in Art. 2 GG (Leben und körperliche Unversehrtheit, Freie Entfaltung der Persönlichkeit) sowie Art. 5 GG (Meinungsfreiheit) haben viel mit dem Arbeitsrecht zu tun – dazu ein konkretes Beispiel: Aus Art. 12 GG (Berufsfreiheit) ergibt sich, dass ein grundsätzliches Verbot von Nebentätigkeiten unzulässig wäre.

3. Die Gesetze

Die Gesetze sind die nächste Hierarchiestufe. In Deutschland gibt es dabei zwei Hierarchiestufen: Bundesrecht und Landesrecht. Gesetze werden immer vom jeweils zuständigen Parlament beschlossen (Bundestag/Landesparlament). Welches Parlament für welche Gesetzgebung zuständig ist, ist wiederum im Grundgesetz geregelt; bei bestimmten Bundesgesetzen dürfen auch die Bundesländer mitwirken (in Gestalt des Bundesrats).

4. Die Verordnungen

Verordnungen sind so etwas wie Durchführungsvorschriften zu einzelnen Gesetzen. So sind z.B. die Einzelheiten der Betriebsratswahl in der das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ergänzenden Wahlordnung (WO) geregelt. Weitere Beispiele wären die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), die Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) oder die Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Verordnungen werden – anders als Gesetze – nicht in den Parlamenten erarbeitet und beschlossen, sondern durch Regierung und Verwaltung erarbeitet und erlassen. Eine Verordnung darf aber nur erlassen werden, wenn dies in einem Gesetz so vorgesehen ist, und sie muss sich im Rahmen „ihres“ Gesetzes (und des Grundgesetzes sowie der europäischen Gesetze sowieso) halten.

5. Die Tarifverträge

Auch Tarifverträge haben „Gesetzeskraft“, obwohl sie ja zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (oder auch einzelnen Arbeitgebern) als Verträge ausgehandelt werden. Natürlich müssen sich Tarifverträge im Rahmen aller übergeordneten Gesetze halten, (es gilt aber das Günstigkeitsprinzip). Tarifverträge gelten im Prinzip nur dann für ein Arbeitsverhältnis, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer Mitglieder einer der Tarifvertragsparteien (Gewerkschaft, Arbeitgeberverband) sind, es sei denn, ein Tarifvertrag ist durch eine Verordnung des Bundesarbeitsministeriums für allgemeinverbindlich erklärt worden (und dann für die gesamte Branche gilt und damit quasi Gesetzeskraft bekommt).

6. Die Betriebsvereinbarungen

Ein erheblicher Teil des Arbeitsrechts ist in Betriebsvereinbarungen festgeschrieben, die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ausgehandelt werden. Betriebsvereinbarungen müssen sich dabei nicht nur im Rahmen von Gesetzen, Verordnungen und Tarifverträgen halten, sie dürfen auch keine Themen behandeln, die in einem für den Betrieb geltenden Tarifvertrag geregelt sind, oder „üblicherweise“ in Tarifverträgen geregelt werden (so darf z.B. die Einkommenshöhe nicht in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden). Möglich ist das nur dann, wenn es in Form einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag selber festgelegt ist.

7. Die Arbeitsverträge

Der Arbeitsvertrag regelt Rechte und Pflichten, die der Arbeitgeber und der einzelne Arbeitnehmer individuell für ein bestimmtes Arbeitsverhältnis aushandeln. Das ist jedenfalls die Theorie. In der Praxis wird ein Bewerber in aller Regel wohl den ihm vorgelegten Standardarbeitsvertrag akzeptieren (müssen). Allerdings darf keine der Vertragsbestimmungen gegen die Regeln aus Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen, Verordnungen und Gesetzen verstoßen (Günstigkeitsprinzip).